Meine Eltern haben mit uns Kindern viele Wanderungen im Tessin unternommen und uns vor dem Absitzen im Freien jeweils daran erinnert, mit dem Fuss auf den Boden zu stampfen, um allfällige Schlangen zu vertreiben. Je älter ich wurde, umso grösser wurde meine Furcht vor diesen symbolträchtigen Tieren, auch wenn ich dafür keine rationalen Gründe hatte.

Diesen Monat verbrachten meine Frau und ich ein paar Ferientage in Locarno. Eine Wanderung führte durchs Verzascatal. Nebst anregenden Gesprächen gab es stille Momente, in denen wir unseren Gedanken nachhingen. Ich reflektierte die vergangenen Arbeitswochen und freute mich über die kommende Elternschaft eines Teammitglieds. Kurz darauf erblickte ich vor mir einen «Nuggi» an einem Strauch. Mein spontaner Gedanke: «Ich habe den Nuggibaum für meinen Teamkollegen gefunden!». Ihn zu fotografieren und in die Whatsapp-Gruppe stellen, das war mein Plan.

Ich schoss das erste Foto und nahm mir vor, den Nuggi auch von der anderen Seite abzulichten. Doch so weit kam es nicht. Ich suchte die passende Position, wollte einen Schritt neben den Weg machen und schaute auf den Waldboden, möglicherweise instinktiv aufgrund meiner unbewussten Angst vor Schlangen. Vor meinem Fuss lag eine Aspisviper mit einer Maus im weit gespreizten Maul. Zu meinem Erstaunen nahm ich nicht Reissaus, sondern blieb stehen und bewunderte die Schlange, die mit kaum merklichen Bewegungen verharrte.

Alles nur Zufall? Bei der weiteren Wanderung blieb genügend Zeit, um über das Erlebte nachzudenken. Wieso hing der Nuggi ausgerechnet dort? Warum hat der Teamkollege am Vortag im Teamchat ein Foto von der neuen Wickelkommode geteilt und mich auf die Idee gebracht, ihm vom «Nuggibaum» zu berichten? Was hat mich davor bewahrt, für ein tolles Fotosujet unbewusst einen Schritt neben den Weg zu machen? Habe ich diese Situation erlebt, um meine Angst vor Schlangen noch weiter verringern zu können?

Integrieren statt abgrenzen: Ein bewusster Umgang mit den eigenen Ängsten unterstützt dabei, sich selbst ganzheitlich wahrzunehmen und gelassener durchs Leben zu gehen. Durch ein Gespräch mit einem Coach kann man die verschiedenen Facetten, die mit der Angst zu tun haben, von unterschiedlichen Seiten beleuchten und als Teil der eigenen Persönlichkeit anerkennen. Ein ebenso passender Weg ist die Hypnosetherapie, um mit dem Unterbewusstsein mögliche Ursachen für vorhandene Ängste aufzuspüren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und zu versöhnen.

[Roland Greber, undbewusst.ch, 30.6.2021]