Zwei Personen stehen vor der gleichen Darstellung und nehmen je eine andere Figur wahr. Das haben wir einmal mehr in Sandro Del Prete`s Illusoria-Land erlebt. Der Schweizer Maler wurde durch Gemälde und Konstruktionen zu optischen Täuschungen bekannt.

Realität ist eine Frage der Wahrnehmung und die Wahrnehmung hängt unweigerlich von unserem Standpunkt ab. Mit diesem Satz bringt Sandro del Prete auf den Punkt, was wir in unseren Hypnose- und Coaching-Sitzungen öfters als Ursache für Missverständnisse und fehlender Einflussnahme feststellen.

Dass ein Bild oder eine Skulptur unterschiedlich auf die Betrachtenden wirken kann, ist einigermassen nachvollziehbar. Man kann sich über das Gesehene austauschen, die Standpunkte vergleichen und herleiten, wie das gleiche Objekt unterschiedlich auf uns wirkt.

Schwieriger wird es, wenn Betroffene eine Situation oder das Verhalten von Menschen unterschiedlich wahrnehmen. Die verschiedenen Standpunkte und die abweichenden Wirkungen sind viel weniger offensichtlich. Die Teilnehmenden erleben unterschiedliche Wirklichkeiten. Ein geschwungener Doppelbogen – sinnbildlich für eine Situation - wird dann zu einer Zahl 3 oder den Buchstaben E, M oder W.

In der Weiterbildung zum betrieblichen Mentor wird für dieses Phänomen der Begriff «Konstruktivismus» gelehrt. Der Konstruktivismus sagt, dass es nicht eine «objektive Welt» gibt, auch wenn wir Teile der Natur messen und nachweisen können, sondern dass bei jedem Wahrnehmungsakt die Welt neu erschaffen wird und dass wir nie genau wissen können, wie der andere die Welt im Ganzen wirklich sieht... (Humberto R. Maturana und Fancisco J. Varela. Der Baum der Erkenntnis, München: Goldmann 1990). Der Konstruktivismus geht davon aus, dass kein Organismus in der Lage ist, Wirklichkeit abzubilden oder zu repräsentieren oder ein passendes Modell der Welt zu konstruieren (http://institut-waldspirale.de, abgerufen am 30.3.22)

Mit diesem Bewusstsein über die unterschiedlichen Wirklichkeiten eröffnen sich viele Möglichkeiten, um aus verfahrenen Situationen Auswege zu finden. Das Erlebte kann in der Hypnosetherapie über Gefühle fassbar und mit bekannten Situationen verknüpft werden. Dadurch kann man sich anderen Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten bewusst werden und diese antrainieren, um beim nächsten Mal in vergleichbaren Situationen eine andere Reaktion an den Tag zu legen. Die Wirkung auf das Umfeld und auf das eigene Befinden übertreffen oft die Erwartungen. Im Coaching kann man sich der «Wahlmöglichkeit der Wirklichkeit» ebenso zunutze machen.

Pippi Langstrumpf hat uns in der Kindheit diese Wahlfreiheit bereits mitgegeben: Ich mach' mir die Welt Widdewidde wie sie mir gefällt (Link auf youtube).

[Liselotte und Roland Greber, undbewusst.ch, 30.3.2022]